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  Buchbesprechung, mai/juni 1995

                                     1984 George Orwell           Buchbesprechung von Leonhard Rathner (webmaster@referate.heim.at) Autor  Orwell, George, Pseudonym von Eric Arthur Blair (1903-1950), englischer Schriftsteller. Seine sprachlich geschliffenen und politisch engagierten Essays und Romane entfalten ein scharf konturiertes Panorama der ersten Jahrhunderthälfte. Der in Motihari (Indien) geborene Orwell besuchte die Eliteschule in Eton, diente von 1922 bis 1927 in der Indian Imperial Police in Burma und kehrte dann nach England zurück. Die folgenden Jahre waren von Armut und Krankheit geprägt.

Mit dem Wunsch, Schriftsteller zu werden, lebte Orwell mehrere Jahre in Paris und in London. In seinem literarischen Debüt Down and Out in Paris and London (1933, Erledigt in Paris und London) resümierte er die Erfahrungen dieser Zeit und schilderte illusionslos das Obdachlosenmilieu. Autobiographisch gefärbt war auch Burmese Days (1934, Tage in Burma), eine Anklage gegen die britische Kolonialherrschaft in Indien und den Imperialismus im Allgemeinen. Eine gesellschaftskritische Tendenz prägte auch das Sozialmelodram A Clergyman‘s Daughter (1935, Eine Pfarrerstochter). Wie viele politisch interessierte Schriftsteller seiner Generation (Auden, Day Lewis) 1936 schloss sich auch Orwell den republikanischen Kräften im Spanischen Bürgerkrieg (1936- 1939) an. Aus seinem Erfahrungsbericht Homage to Catalonia (1938, Mein Katalonien) sprach indessen tiefe Enttäuschung über die Querelen der Linken in Spanien, vor allem über die stalinistische Ausrichtung der Kommunisten.

In The Road to Wigan Pier (1937, Der Weg nach Wigan Pier) schilderte Orwell die katastrophalen Lebensverhältnisse englischer Bergleute. Einige Jahre später setzte sich die grimmige Fabel Animal Farm (1945, Die Farm der Tiere) kritisch mit gesellschaftlichen Machtmechanismen auseinander. Und in seinem Welterfolg Nineteen Eighty-four (1949, 1984) verarbeitete Orwell sein pessimistisches Menschen- und Geschichtsbild in einem utopischen Roman, dessen Titel im Lauf der Jahre zum Inbegriff der philosophisch akzentuierten Sciencefiction wurde. Das dort entworfene Bild einer totalitären Gesellschaft der Zukunft hat die Sowjetunion unter Stalin zum Vorbild und übertrifft in seiner Radikalität bei weitem Aldous Huxleys Brave New World (1932, Schöne neue Welt). Aus heutiger Sicht haben sich Orwells düstere Visionen zwar nicht konkret bestätigt, doch seine Prognose eines umfassend überwachten Staatsbürgers ohne geschützte Privatsphäre ist im fortschreitenden Medienzeitalter aktueller denn je. Mit seinen späten, meist autobiographischen Arbeiten, wie Shooting an Elephant and Other Essays (1950, Einen Elephanten erschießen) konnte Orwell an den Erfolg von 1984 nicht mehr anknüpfen.

Im Januar 1950 starb er an Tuberkulose.   Inhaltsangabe   Winston Smith ist ein Durchschnittsbürger, doch eines unterscheidet ihn von allen anderen: Er hat insgeheim etwas gegen die Macht der Partei. So beginnt er ein Tagebuch zu führen und fragt eines Tages einen älteren Mann über die Vergangenheit aus. Dieser kann ihm jedoch nicht helfen und er geht wieder, schaut aber noch bei einen alten Ramschladen vorbei. Winston, der verbotenerweise im Gebiet der Proles ist, bemerkt, daß er von einem jungen Mädchen verfolgt wird. Ein paar Tage später gibt Julia, das Mädchen, ihm eine Nachricht, auf der steht: "Ich liebe dich".

Der verblüffte Winston glaubt das anfangs nicht, trifft sich jedoch geheim mit ihr und verliebt sich in sie. Die beiden mieten eine Wohnung über dem alten Geschäft um sich öfters treffen zu können. Als das Mitglied der Inneren Partei O'Brien Winston ein Zeichen gibt, treffen sie sich, und Winston erfährt mehr über die Opposition der Bruderschaft. An einem Tag, an dem sich Julia und Winston absolut sicher fühlen, werden sie verhaftet. Sie sind sich sicher, daß sie sich gegenseitig nie verraten werden. Winston wird im Ministerium für Liebe gefoltert und er gesteht viele Verbrechen.

Nach physischen Schmerz wird mit psychischer Folter gearbeitet. Zum Schluß, im Zimmer 101, wird er mit seiner größten Angst konfrontiert. In diesem Moment verrät er Julia. Die Gehirnwäsche ist hiermit abgeschlossen. Bei einem Treffen mit Julia stellen die beiden fest, daß sie nichts mehr füreinander empfinden. Als Winston stirbt ist sein letzter Gedanke der an den Großen Bruder: Er liebt ihn.


  Stoff   George Orwell hat für seine utopische Gesellschaft historischen Systemen zum Vorbild genommen und erweitert. Seine "Partei" ist eine Weiterführung sowohl des Nationalsozialismus wie auch des Kommunismus. Die Partei selbst erhebt eigentlich nicht den Anspruch, das beste für die Menschen tun zu wollen, der einzige Sinn der Partei ist weiter zu bestehen. Auch Einflüsse von Ludwig Josef Johann Wittgensteins Sprachphilosophie sind nicht von der Hand zu weisen.  Motive & Symbole   Vergangenheit: Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Aus diesem Grund ist die Partei immer dahinter, die Vergangenheit zu ändern.

Genaugenommen müssen nur alle Beweise, alle schriftlichen oder bildlichen Aufzeichnungen der Vergangenheit geändert werden, die Menschen selbst haben bereits akzeptiert, daß ihre Erinnerungen nicht real sind, daß Vergangenheit ist was die Partei bestimmt. Die Fälschungen werden nicht als solche gesehen, es sind lediglich Berichtigungen, genau genommen wird ein erlogener Unsinn durch einen anderen ersetzt. Sogar die Jahreszahlen sind in dieser Zeit ungewiß. (Hätte das Buch nicht auch "2010" heißen können?) Erschreckend ist, daß sogar die ältere Generation nicht mehr viel über die Vergangenheit berichten kann. Den Alten ist es nicht möglich die Zeit vor der Revolution mit der heutigen zu vergleichen.   Gegenwart: Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.

Winston und Julia sind sich gewiß, daß es kein Entkommen gibt. Es scheint aber ein unüberwindlicher Instinkt zu sein, eine Gegenwart auszuleben, die keine Zukunft besitzt.   Zukunft Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Interessant ist, daß Winston immer Vorahnungen über die Zukunft hat, diese aber nicht als solche erkennt. So träumt Winston, daß O'Brien ihm sage, sie werden sich an einem Ort treffen, wo keine Dunkelheit herrscht. Später stellt sich heraus, daß dieser Ort das Ministerium für Liebe ist, in dem nie das Licht abgeschalten wird.

Auch vom "Goldenen Land", der ländlichen Umgebung in der er Julia das erste mal alleine trifft, träumt er. Besonders auffällig ist auch, daß der Reim, der mit dem Bild im Zimmer assoziiert wird so endet: "Und dieses Kerzlein leuchtet dir Tropf, und dieses Hackebeil hackt ab deinen Kopf". Die Wahrheit dieser Strophe wird einem erst klar, als sich herausstellt, daß hinter dem Bild der geheime Teleschirm versteckt ist, der Winston und Julia ins Verderben stürzt.   Das Zimmer Das Zimmer ist eine eigene Welt, ein Einschluß der Vergangenheit, das Paradies. Julia und Winston fühlen sich nur in diesem Zimmer wirklich sicher und ungestört. Dort könne ihnen nichts passieren, glauben sie.

Im Endeffekt ist das Zimmer eine Falle.   Krieg In Ozeanien ist Krieg zum Dauerzustand geworden. Es wechseln zwar die ganze Zeit die Gegner und die Verbündeten, aber es herrscht immer Kriegszustand. Julia vermutet, daß es diesen Krieg gar nicht gibt, daß die Raketenexplosionen in London von der Partei selbst verursacht werden. Wenn es den Menschen gut geht, interessieren sie sich nicht für die Partei. Daher werden sie durch Krieg, wirtschaftlichen Problem und Verbot von Liebe in einen unglücklichen Gemütszustand versetzt.

Diese Unzufriedenheit wirkt als Motor und wird für das weitere Bestehen des Systems eingesetzt.   Doppeldenk Doppeldenk ist das Prinzip, auf dem die Partei ihre Macht ausübt. Doppeldenk bedeutet gleichzeitig zwei einander ausschließende Ansichten zu vertreten und obendrein an beide zu glauben. Es bedeutet auch zu vergessen, was vergessen werden muß. Und dieses Verfahren wird auf sich selbst angewendet. Nur so kann die Vergangenheit kontrolliert werden.

  Neusprech Neusprech ist das Mittel um eine mögliche Revolution durch Parteimitglieder abzuwenden. Ein Putsch durch die Proles ist nicht zu erwarten. Die Sprache wird so weit verkleinert, daß ein Gedankendelikt unmöglich wird, daß der Gedankenspielraum auf ein Minimum begrenzt wird. (Die Abhandlung über Neusprech baut auf Wittgensteins Sprachphilosophie auf: das, wofür man keine Worte hat, kann man nicht denken.) Schauplatz & Milieu   Am Beginn des Romans befindet sich der Hauptcharakter Winston Smith in London. Es ist der 4.

April 1984. London, das bis auf wenige Abschnitte, die in einer ländlichen Idylle spielen, die meiste Zeit des Romans den Schauplatz darstellt, ist die wichtigste Stadt von Landefeld Eins, der am drittstärksten bevölkerten Provinz Ozeaniens. Von Anfang an wird dem Leser eine kühle, farblose Welt gezeigt. Schon im ersten Satz des Romans wird das groteske Umfeld der Handlung gezeigt: “Es war ein strahlend-kalter Apriltag, und die Uhren schlugen dreizehn.” Die Umwelt wird als trostlos beschrieben. Es ist sehr staubig, und, obwohl die Sonne scheint und der Himmel grellblau ist, wirkt alles außer den Plakaten des Großen Bruders farblos.

  Ein Hubschrauber der Polizeistreife beobachtet die Leute an den Fenstern. Selbst die Wohnung bietet keinen Schutz vor der unaufhörlichen Obversation. Durch diese ständig möglichen Beobachtung kann auch hier kein Gefühl von Ruhe auftreten. Nicht einmal die Propaganda des Teleschirms, eines Art Fernsehers mit eingebauter Überwachungskamera, läßt sich abstellen. Selbst die Textzeilen unter den Bildern des Großen Bruders zeigen ganz offen die Verhältnisse, in denen die Menschen leben: "Der Große Bruder sieht Dich"   Ozeanien ist eine verdrehte Welt. Das vermutlich seit ca.

30 Jahren existierende Reich ist oft gegenteilig zu den Erwartungen des Lesers aufgebaut. Die Gebäude der Regierung, die mit den Namen Ministerium für Wahrheit, für Frieden, für Liebe und für Überfülle sich mit ihren Kompetenzbereichen schon selbst widersprechen, sind strahlend weiß angemalt. Die Vorstellung der grauen, farblosen Umwelt wird durch diese Machtsymbole sofort wieder zerstört. Obwohl es keine Gesetze gibt, werden Querdenker und Revoluzzer umgeschult oder anders bestraft. Dann geben Parolen wie “Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke” der bedrohlichen Stimmung noch den letzten Anstrich.   Obwohl immer gepredigt wird, wie gut doch alles sei, sind die Gebäude, die Industrie und wahrscheinlich die ganze Umwelt in einem zerstörten Zustand.

So wohnt Winston zum Beispiel in einer um das Jahr 1930 erbauten Mietskaserne, die allmählich zu Bruch geht. Selbst Kleidungsstücke und Schuhe sind Mangelware.   Oft wird behauptet, daß der Roman die Gesellschaft der Sowjetunion unter Stalin zum Vorbild hat. Meiner Meinung nach könnte Orwell in seinem 1949 erstmals veröffentlichten Roman auch auf den Nationalsozialismus unter Adolf Hitler anspielen. Beide Versionen scheinen möglich zu sein. Im Roman selbst kommen beide Systeme vor: "Die deutschen Nazis und die russischen Kommunisten reichten in ihren Methoden nahe an uns heran, aber es fehlte ihnen immer der Mut, ihre eigenen Motive anzuerkennen.

"               Die Innere Partei wird durch 2 % der Bevölkerung gebildet. Sie ist die Partei, sie lenkt das ganze System. Die Äußere Partei ist zur Aufrechterhaltung des Systems gedacht. Diese Leute arbeiten, ohne eigenständig zu denken nach den Prinzipien des Großen Bruders. Proles sind keine Menschen. Das wird nur allzu oft erwähnt.

Sie stellen 85% der Bevölkerung Ozeaniens dar. Die Partei könnte von innen nie gestürzt werden, die einzige Hoffnung sieht Winston in den Proles. Wenn sie sich ihrer Stärke bewußt werden könnten, brauchten sie gar nicht zu konspirieren, der Fall der Partei würde beinahe automatisch erfolgen. Die Partei beansprucht für sich die Proles aus der Knechtschaft und Unterdrückung der Kapitalsiten befreit zu haben. Es ist nicht schwer, sie unter Kontrolle zu halten. Es werden keine Versuche unternommen, die Proles mit der Ideologie der Partei zu indoktrinieren.

Es ist nicht wünschenswert, daß sie eine starke politische Überzeugung haben. Von ihnen wird nur ein primitiver Patriotismus verlangt. Da den Proles der generelle Überblick fehlt, können sie ihre Unzufriedenheit nur gegen ganz spezielle, unwesentliche Mißstände richten. Die größeren Übel entgehen ihnen unweigerlich. Die Proles verhalten sich keiner Partei, keinem Land, keiner Idee gegenüber loyal, sie sind nur untereinander loyal. Die Proles sind menschlich geblieben.

  Kinder sind sehr gefährlich. Die Partei übernimmt die Erziehung der Kinder, die bald zu Vergötterern derselben werden. Kinder, die sonst immer als Zukunft und Hoffnung gelten, sind in diesem Roman das Gegenteil, die Ausleger der Partei bis in die Familien hinein. Es kommt sehr oft vor, daß Kinder ihre eigenen Eltern belauschen und verraten, um selbst in der Hierarchie der Partei aufzusteigen. Die Eltern fürchten sich vor ihren Kindern.   Der Große Bruder ist die Symbolfigur für den Staat.

Man sieht von ihm eigentlich immer nur das Gesicht, das Gesicht eines etwa 45jährigen Mannes mit wuchtigem schwarzem Schnurrbart und kernig-ansprechenden Zügen. Er wird als unbezwingbarer, furchtloser Schutzherr beschrieben. Natürlich ist der Große Bruder nicht existent, er ist gleichzusetzen mit der Partei selbst. Im Großen und Ganzen stellt das für die Menschen aber kein Problem dar.   Emanuel Goldstein war einer der führenden Männer der Partei. Da er aber angeblich in konterrevolutionäre Machenschaften verstrickt gewesen war, wurde er zum Tode verurteilt, konnte jedoch auf mysteriöse Weise entkommen und untertauchen.

Goldstein wird als Urverräter dargestellt, er ist der Anführer einer Organisation die "Bruderschaft" genannt wird und gegen die Partei arbeitet. Goldstein hat "das Buch" geschrieben, ein Werk, daß die Wahrheit über die Partei und den Großen Bruder darlegt. Niemand glaubt, daß er auf die Lügen Goldsteins hereinfallen könnte, doch jeder befürchtet, daß andere, nicht so intelligente Menschen seinen widersinnigen Gedanken glauben schenken könnte. Trotz all des Warnens durch die Partei scheint Goldsteins Einfluß nie zu schwinden, immer gibt es neue Opfer. Winston ist sich nicht sicher, ob Goldstein oder die Bruderschaft überhaupt existierten, ob sie nicht ein Mythos wären. Selbst O'Brien klärt ihn nicht darüber auf, ob es die Bruderschaft überhaupt gibt.

 Charaktere & Konstellationen   Winston Winston ist ein 39jähriger Mann, der, nicht nur wegen seinem Krampfadergeschwür über dem rechten Fußknöchel, kein besonders körperlich aktiver Mensch ist. Seine Magerkeit wurde durch den blauen Overall der Parteiuniform sogar noch betont. Nach der Arbeit trinkt er immer fast eine Teetasse voll von Victory Gin. Nach dieser Arznei sieht für ihn die Welt bereits freundlicher aus.   Winston ist früher mit verheiratet gewesen. Schon damals hatte er etwas gegen die Partei.

Der einzige Zweck für eine Heirat ist es, Kinder zu kriegen. Der Geschlechtsverkehr selbst wird als eine unliebsame "Pflicht gegenüber der Partei" gesehen, doch Winston sieht das anders. Aus diesem Grund ist seine Ehe auch gescheitert.   Nur weil sein Zimmer eine etwas ungewöhnliche Bauweise hat, so daß Winston eine Nische hat, in der er vom Teleschirm nicht beobachtet werden kann, beginnt er etwas Unrechtes zu tun. Er schreibt in ein Tagebuch und das nicht um irgend etwas für die Zukunft hinterlassen zu können, sondern vielmehr um sich von dem Drang gegen die Partei etwas zu unternehmen zu therapieren.   Winston ist eigentlich in die Strukturen der Gesellschaft gut eingegliedert.

Er macht genau das, was von ihm erwartet wird. Trotzdem ist er ein Querdenker, ein Feind der Partei, er kann sich nur gut verstellen. Für ihn ist es erschreckend, daß er sich nach kurzer Zeit beim Zwei-Minuten-Haß der Masse nicht entziehen kann. Ohne es zu wollen schreit er automatisch mit, Handelt ohne zu denken. Seine wahren Gefühle zu verbergen, zu tun, was alle tun ist für ihn eine Instinktreaktion.   Eines der größten Probleme für Winston ist es, daß er nicht weiß, ob auch nur irgend ein anderer Mensch auf seiner Seite steht.

Er fragt sich, ob er der einzige Mensch mit einem Gedächtnis sei. Er ist sich nicht sicher, ob die Herrschaft der Partei nicht doch ewig währen würde. Er hat nur das Gefühl, daß die Bedingungen früher besser gewesen sein mußten. Nur ein einziges mal hat Winston einen Beweis für eine offenkundige Fälschung gesehen. Nach einem Bericht in der Zeitung hätten drei Feinde der Partei im Ausland sein müssen, doch er hat sie selbst in London im Café "Kastanienbaum" gesehen. Das war das einzige mal, daß er einen wahren Beweis für eine Fälschung hatte.

Der Bericht mußte falsch gewesen sein.   Durch das Schreiben des Tagebuchs wird ihm klar, daß er bereits tot ist. Gedankendelikt hat nicht den Tod zur Folge, Gedankendelikt ist der Tod. Da er sich als toten Mann betrachtet, wird es für ihn immer wichtiger, möglichst lange am Leben zu bleiben. Aber sein wahrer Lebenswille kommt erst durch die Mitteilung wieder, daß Julia ihn liebt. Er will plötzlich keine Risiken mehr eingehen.

Von Anfang an weiß er aber, daß diese Geschichte nicht gut ausgehen kann.   Mit der Zeit geht es ihm körperlich auch besser, das Leben ist für Winston nicht mehr unerträglich. Für ihn ist es immer sehr wichtig, wieder menschlich zu werden, er glaubt, daß gerade diese wichtige Eigenschaft durch die Partei verloren gegangen ist. Doch wie er der vermeintlichen Opposition beitritt verliert er alles menschliche. Er würde sogar Kinder verletzen, um die Partei zu stürzen. Nur von Julia würde er sich nicht trennen.

  In einem Gespräch mit Julia versprechen sich die zwei, daß sie sich nie verraten werden. Selbst nach der Verhaftung, als er bemerkt, daß er Julia eigentlich gar nicht liebt, bleibt er bei dem festen Beschluß, sie nicht zu verraten. O'Brien gelingt es, ihm jedes Geständnis abzuknöpfen. Winston wird so weit gebracht, daß er selbst wieder an die Partei, an den Großen Bruder glaubt. Seine Erinnerungen verschwinden, er "lernt" normal zu werden.   Winston hat zwar bereits geistig kapituliert, aber er hat Julia nicht verraten.

Im Zimmer 101 wird er seiner größten Angst, Ratten, ausgesetzt. In diesem Moment der absoluten Einsamkeit verrät er sogar Julia, wünscht, daß sie diese Folter an der Stelle von ihm aushalten solle. Als sich die zwei wieder treffen, fühlen beide nichts mehr füreinander. In dem Augenblick, in dem Winston stirbt, liebt er den Großen Bruder. Die Gehirnwäsche hat funktioniert, er ist kein Feind der Partei mehr.     Julia Julia ist ein schwarzhaariges Mädchen, das in Winston verliebt ist.

Sie haßt die Partei, vorallem dann, wenn sie selbst betroffen ist. So ist ihr der Krieg eigentlich egal, da er sie nicht berührt. Auch die Fälschungen der Vergangenheit findet sie für nicht gefährlich.   Julia ist der Meinung, daß wenn man die Regeln im kleinen einhalte, man sie im großen übertreten könne. Darum ist sie auch in allen möglichen freiwilligen Gruppen der Partei aktiv. Sie ist im Gegensatz zu Winston nicht der Meinung, daß sie bereits tot sei.

Sie liebt das Leben und denkt eigentlich nicht an die Zukunft. Sie will Winston nie mehr verlassen. Nach der Folter im Ministerium für Liebe liebt sie Winston trotzdem nicht mehr. Auch sie hat ihn verraten.       O'Brien O'Brien ist Mitglied der Inneren Partei. Bei einem Zwei-Minuten-Haß sieht er Winston an, was für diesen Ausreicht, ihn als Freund, als Feind der Partei anzusehen.

Winston träumt, daß O'Brien ihm sage, sie werden sich an einem Ort treffen, wo keine Dunkelheit herrscht. Dieser Satz wird in seiner entsetzlichen Realität erst später Wirklichkeit. Mehr noch als den Eindruck von Stärke vermittelt er den von Zuversicht und ironisch gefärbtem Verständnis.   Später stellt sich heraus, daß O'Brien Winston eine Falle gestellt hat. O'Brien ist es, der ihn im Ministerium für Liebe foltern läßt, der ihn "gesund machen" will. Im Augenblick des Todes soll kein Feind mehr gegen die Partei sein.

Es wird keine Abweichung geduldet. O'Brien ist sehr intelligent, glaubt jedoch an die Partei. Die Partei wird weiter existieren, auch wenn er schon lange tot ist. Die Partei währt ewig.   Die Mutter Winston hat keine klare Erinnerungen an seine Mutter oder seinen Vater mehr. Aber durch seine Träume ist er sich sicher zu wissen, daß sie einer der ersten großen Säuberungswellen der 50er Jahre zum Opfer gefallen sei.

Das Leben seiner Mutter und das seiner Schwester (über die man nichts erfährt, außer daß sie existiert hat) sind für das seine geopfert worden. Die Mutter verkörpert das Gute in den Menschen, die Würde, sie hat eine Art Reinheit besessen, weil ihre Maßstäbe die eigenen waren, und nicht die der Partei.   Winston - Julia Am Anfang des Romans haßt Winston Julia. Als Grund sie zu hassen reicht es, daß sie jung, hübsch und geschlechtslos ist, daß er mit ihr ins Bett gehen will, es aber nie dazu kommen werde. Winston lehnt beinahe alle Frauen ab, und ganz besonders die jungen und hübschen. Sie sind für ihn die glaubenseifrigsten Anhänger der Partei.

Speziell Julia stuft er als besonders gefährlich ein, er vermutet überdies, daß sie, wenn nicht eine Agentin der Gedankenpolizei, doch mindestens ein Amateurspitzel sei. Er fühlt sich von ihr beobachtet. Als Winston Julia nach dem Verlassen des Ladens entdeckt, überlegt er sogar, sie zu töten, um sich selbst zu schützen. Durch die Mitteilung, daß sie ihn liebt beginnt er jedoch wieder Lebenswillen zu fassen. Durch das Liebesgeständiß Julias ändert sich die Einstellung von Winston zu ihr stark. Er verliebt sich in das junge Mädchen.

Anfangs ist es nur das körperliche Verlangen nach ihr, später ist es zu einem Bedürfnis geworden.   Julia ist eigentlich eine Gegenfigur zu Winston. Sie nimmt die Situation immer gleich in die Hand, sie ist ein aktiver Mensch. Julia haßt die Partei, aber aus ihren eigenen Interessen heraus. Winston will das System stürzen, er hat etwas gegen die Herrschaft der Partei in allen Belangen. Julia hingegen hat im Prinzip nichts gegen die Partei, nur dagegen, daß sie selbst Einschränkungen hinnehmen muß.

Sie übt keine grundsätzliche Kritik an der Partei. Daß es eine weitverbreitete, organisierte Opposition gäbe, glaubt Julia im Gegensatz zu Winston auch nicht. Sie ist weit kritischer als Winston, glaubt zum Beispiel nicht, daß es wirklich einen Krieg gäbe, der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge ist für Julia aber bedeutungslos. Nur wenn ihr eigenes Leben beeinträchtigt wird, zieht sie die Lehren der Partei in Zweifel. Winston hingegen ist von der Idee des Falles der Partei überzeugt. Er ließt Goldsteins Buch mit Hingabe, er wird dadurch bestärkt und fühlt, daß es wirklich mehrere Leute gibt, die denken wie er.

Julia hingegen findet kein Interesse an dem Buch.   Winston - O'Brien Winston sieht in O'Brien den Guten, den Retter. O'Brien könnte beinahe eine Vaterfigur charakterisieren. Winston vertraut ihm blind. Nach der Verhaftung hofft er, daß O'Brien ihm mit einer Rasierklinge die Möglichkeit geben werde, sich durch Selbstmord der Folter zu entziehen. Als sich herausstellt, das dieser gar kein Mitglied der Bruderschaft, sondern ein echtes Mitglied der Inneren Partei sei, ist Winston nicht sonderlich überrascht.

O'Brien wird einerseits zum Beschützer und Freund, andererseits zum Peiniger und Inquisitor.   Winston und O'Brien sind sich eigentlich sehr ähnlich. O'Brien weiß immer ganz genau, was Winston denkt, der einzige Unterschied ist, daß O'Brien wirklich an die Partei glaubt.   Erzählform & -perspektive Der Roman ist durchgehend im Präteritum geschrieben. Die Handlung wird von einem unbekannten Erzähler vorgebracht, der aber auf Winston Smith bezogen schreibt, und nur das weiß, was auch diesem bekannt ist.  Zugang & Verständnis Das Buch ist ohne irgendwelche Vorkenntnis zu benötigen lesbar.

Es bereitet keine Schwierigkeiten sich in das Leben von Winston Smith hineinzuversetzen. Selbst die für unsere Verhältnisse sehr groteske Welt des Jahres 1984 wird sehr eindrucksvoll geschildert. Die perfekt durchdachte Gesellschaftsstruktur ist ein Paradebeispiel für einen utopischen Roman.  Wirkung Der Roman "1984" wirkt bedrückend, beängstigend aber trotzdem hoffnungsvoll und lebensfroh. Das Leben des Winston Smith wird so detailgetreu geschildert, daß man denken könnte, es gäbe ein echtes Vorbild für diese Welt. Es ist nahezu unvorstellbar, daß ein einzelner Mensch eine so komplexes Gedankenwelt erschaffen kann.

Selbst die Grundzüge von Neusprech werden im Anhang erläutert. Das tragische Ende kommt unerwartet, ist aber trotzdem die logische Konsequenz der Handlung.  Wertung Für mich ist der Roman "1984" von George Orwell ein perfektes Beispiel für eine bis ins kleinste Detail ausgedachte Scheinwelt. Es ist faszinierend, welche Kleinigkeiten das Grundsystem der Partei unterstützen. Ich wage es nicht, mich über die Sprache des Werks zu äußern, da ich nur eine Übersetzung bearbeitet habe. Meiner Meinung nach liegt der Wert dieses Buches aber nicht in der literarischen Umsetzung, sondern im Aufbau des Gedankenspiels einer Welt mit solchem System selbst.

Das Buch ist nicht nur weiterzuempfehlen, es sollte Pflichtlektüre in jeder Oberstufe sein.   Quellen   Orwell, George: 1984 Verlag Ullstein GmbH, Berlin 1996 Microsoft Encarta 98

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