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  Lebens(t)raum

Lebens(t)raum   Carolyn Nadlinger        J eder Mensch hat einen Traum. Mal ist es der Traum vom Lotto-6er, mal von der großen Liebe; manche sind realistisch, manche geradezu unvorstellbar; doch sie alle, egal ob groß oder klein, wichtig oder unwichtig, geben uns Kraft und Mut. Kraft, um uns durchzusetzen, Mut, um trotz Rückschläge weiterzumachen, bis unser Traum eines Tages vielleicht in Erfüllung geht. Träume sind unsere Hoffnung und unsere Antriebskraft, ohne sie hätten wir nicht mehr den Willen zu leben. Menschen, die Suizid begehen, haben keinen Traum mehr. Sie wissen nicht, wofür es sich zu leben lohnt.

Wozu das alles? Manchmal leben wir die Träume anderer. Möchte der eine den Traum des verstorbenen Freundes verwirklichen, wird der andere schon als Kind von seinen Eltern zwangsbeglückt, da sie ihre Träume durch ihr eigenes Fleisch und Blut realisieren möchten. Wenn wir verzweifelt sind, versuchen wir, uns an einen Ort zu träumen, den es gar nicht gibt. Wir klammern uns dann an eine Vorstellung wie ein Ertrinkender an einem Strohhalm, der weiß, dass es keine Rettung gibt. Dennoch könnte es passieren, dass wir, wenn wir nur lange genug ausharren, gefunden und gerettet werden. Schon immer wurden Menschen aufgrund ihres Lebenstraumes bewundert und verehrt.

Sei es der Nachbar, der in die Politik einsteigen will, um etwas gegen die Arbeitslosigkeit zu unternehmen, die Freundin, die Psychologie studiert, damit sie Menschen mit ihren Problemen helfen kann, oder Menschen aus der Vergangenheit, die zwar nicht mehr leben, aber trotzdem über eine große Anhängerschaft verfügen. Namen wie Mahatma Gandhi oder Martin Luther King Jr. sind jedem ein Begriff. Gandhis gewaltlose Widerstandsbewegung findet auf der ganzen Welt Befürworter; so übernahm auch King Gandhis Grundsätze und nutzte sie für die Schwarzenbewegung in den 60ern. Mit seiner berühmten „Ich habe einen Traum“-Rede berührte er unzählige Menschen und sprach aus tiefstem Herzen von Brüderlichkeit zwischen allen Rassen, Gerechtigkeit und Menschenwürde. Er forderte die schwarze Bevölkerung auf, sich nicht zu physischer Gewalt herabsinken zu lassen und sich keiner unrechten Handlung schuldig zu machen.

Es ist schon unglaublich, dass gerade mal vor 40 Jahren der Schwarze in     Mississippi nicht einmal das Stimmrecht hatte und es eigene Toiletten nur für Weiße gegeben hatte. Ich glaube, vielen jungen Leuten ist diese Tatsache gar nicht so richtig bewusst: Wo es doch so viele schwarze Sänger gibt, die populär und beliebt sind, ist es kaum vorstellbar, dass solche menschenunwürdigen Behandlungen gar nicht mal so lange her sind. Die Kinder, die in den Ghettos aufwachsen, haben alle einen Traum: der Armut zu entfliehen und reich und anerkannt zu werden. Sie sehen in der Musik und im Sport eine Möglichkeit, diesen Traum zu verwirklichen. Auch wenn es nur wenigen gelingt, es bis an die Spitze zu schaffen, die Hoffnung und ihre Träume bleiben ihnen. Doch was ist, wenn man keine aufregenden Talente hat? Man gerät leicht in Versuchung, kriminell zu werden, Gangs gibt es haufenweise.

Wenn man dann noch ständig beschimpft und gedemütigt wird, weil man schwarz ist, und das von klein auf, wird man verbittert und will sich auf eine andere Art Respekt verschaffen, auch wenn diese falsch ist. Es gibt Menschen, die arbeiten ihr ganzes Leben lang nur auf ein Ziel hin, ohne Rücksicht auf Verluste. Auch wenn sie zeitweise ihr Ziel vor Augen verlieren, sie machen weiter, bis sie es erreichen. Doch was dann? Wie fühlt man sich, wenn er große Traum, der schon zum Lebensinhalt wurde, verwirklicht wurde? Aufgewacht. Vielleicht erscheint er einem gar nicht mehr so wichtig, jetzt, wo man alles hat; oder man weiß es gar nicht mehr zu schätzen. Vielleicht fühlt man sich, sobald das große Glücksgefühl allmählich schwindet, leer und ausgebrannt.

Nachdem man alles gegeben hat, keine Mühen gescheut hat, an das Danach wird selten gedacht. So ist das, wenn man nur auf eine Sache hinarbeitet und alles andere um sich herum vergisst. Sollte man sich ein neues Ziel suchen? Wahrscheinlich; doch würde das Ganze nicht wieder von vorne anfangen? Es gibt auch Träume, die ganz enden, oder nicht wirklich. Ich denke da an Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, anderen zu helfen, zum Beispiel Ärzte und Entwicklungshelfer, aber auch noch viele andere, die dies nicht unbedingt durch ihren Beruf tun. Sie alle werden immer Arbeit haben, da das Leid des Menschen ein immerwährendes ist. Ihr Traum wird erst enden, wenn sie es wollen, wenn sie zu müde sind, um weiterzuträumen.


So manch einer verzweifelt an dieser Aufgabe und fühlt sich ihr nicht gewachsen, doch diejenigen, die dafür geschaffen sind, gehen voll und ganz in ihr auf und finden sich selbst im Unglück anderer.   Jeder sollte sich einmal die Zeit nehmen und sich frage: „Was ist mein Traum?“ Ich habe eigentlich immer gedacht, mein perfekt geplante Leben würde folgendermaßen ablaufen: Nach der Schule gehe ich arbeiten, werde da gut bezahlt, lerne meinen Mann kennen, heirate, bekomme Kinder, arbeite dann wieder und lebe mit meiner großen Familie heiter bis ans Lebensende. Ein ganz normales Leben also. Doch seit geraumer Zeit, ich weiß nicht mehr seit wann, habe ich den Wunsch, etwas Besonderes zu sein und zu leben. „Normal“ zu sein ist für mich nicht mehr erstrebenswert, es würde mir nicht reichen. Ich möchte viel reisen, um die Welt und viele interessante Menschen kennenzulernen.

Ich möchte meinem Leben einen Sinn geben, möchte nichts bereuen. Doch wer weiß schon, was die Zukunft einem bereit hält, es kommt doch immer anders als man denkt. Bis dahin werde ich weiterträumen, auch wenn es nur kleine Träume sind – sie werden wir die Kraft geben, um weiterzumachen, und den Willen, zu leben.           

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